Das Gebäude des Diorama «Bethlehem» -- ein Unikum

Architektonischer Zeitzeuge der 1950er-Jahre

Entstehungsgeschichte

 

1893 war an der Benzigerstrasse das «Panorama» mit dem grossen Rundbild der Kreuzigung Christi eröffnet worden. Neben der Klosterkirche wurde es ein wichtiger Anziehungspunkt für Pilger und Touristen. Diese Besucherströme waren die Motivation für den Bau eines Dioramas. 

Im Verlauf des Sommer 1953 lag ein erstes Bauprojekt für das Dioramagebäude vor. Es stammte vom Zürcher Architekten Willy Bürgin. Eine Realisierung scheiterte vor allem daran, dass der Architekt den Bau nicht – wie von den Bauherren gewünscht – schräg mit Blickfangwirkung zur Strasse, sondern parallel dazu stellen wollte. Zudem wurde das Projekt als zu wenig zeitlos empfunden. Es war Linus Birchler, Kunsthistoriker und Professor für Architekturgeschichte an der ETH Zürich, der Rat wusste. Er schlug Architekt Felix Schmid vor, (21.01.1926 bis 01.11.2004), der 1948 in Rapperswil ein Architekturbüro gegründet hatte. Schmid durchlief eine Lehre als Bauzeichner.  Bei der nachfolgenden Ausbildung zum Architekten in Zürich besuchte er Vorlesungen bei Linus Birchler. Dieser führte ihn in die Denkmalpflege ein, für die Schmid Zeit seines Lebens mit bedeutenden Aufträgen, so auch vom Kloster Einsiedeln, tätig war. Die Pläne von Schmid gefielen, ihm wurde die bauliche Gestaltung des Dioramagebäudes übergeben. Im August 1953 wurde mit den Bauarbeiten begonnen und schon im November fand das Aufrichtefest statt. 

Am 1. Juli 1954 fand die Eröffnung des «Neues Diorama Bethlehem» statt. 1956 wurde eine «Propagandafirma» beauftragt, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, um die Attraktivität von Gebäude und Ausstellung zu erhöhen. Dazu gehörten das Anbringen eines Sterns und einer Schrift «Diorama Bethlehem», weiter die Bemalung der Fassade mit einer Karte von Palästina. Diese führte Bartholomäus Wappmannsberger 1958 aus.

Das Gebäude

Grossformatige Weihnachtskrippen, die in eine plastische Landschaft eingebettet und zum Teil mit illusionistischer Malerei bereichert sind, kann man heute in Museen wie jenem in München oder insbesondere dem Museum San Martino in Neapel hinter Glas bewundern, einer Stadt, in der noch heute entsprechende Szenerien angefertigt werden. Dioramen, eigentlich Durchscheinbilder, fanden seit Ende des 19. Jahrhunderts grosse Verbreitung vor allem in naturhistorischen Museen, wo ausgestopfte Tiere in Schaukästen vor einer bemalten Kulisse und inmitten plastischer Pflanzen in ihrer «natürlichen» Umgebung dargestellt sind. 

Das Einsiedler Dioramagebäude, das allein zum Zweck der Zurschaustellung einer riesigen Krippenlandschaft mit zahlreichen Figuren dient, ist vermutlich ein Unikum. Und es konnte wohl auch nur hier vor dem Hintergrund des Pilgertourismus und in unmittelbarer Nachbarschaft des Panoramas entstehen. Beiden Medien ist gemeinsam, dass sie durch plastische Szenerie und illusionistische Malerei beim Betrachter den Eindruck erwecken wollen, ein reales Geschehen zu sehen und zu erfahren. Und an beiden Orten steht der Betrachter im Dunklen, sodass sein Blick von der beleuchteten Szenerie gefangen wird.

Der junge Architekt Felix Schmid war mit einer völlig neuen Bauaufgabe konfrontiert, die er souverän gelöst hat. Vorbilder liessen sich zweifelsohne in den temporären Pavillons der Ausstellungsarchitekturen wie jener an der Landi 1939 finden. Vorgegeben waren die Grösse des Baugrunds, der Anteil Raum, den die Krippenlandschaft benötigte und der Anteil Raum für die Besucher, wobei mindestens mit so vielen Personen gerechnet werden musste, wie sie ein damaliger Reisebus aufnehmen konnte. Schmid entwarf ein trapezförmiges, auf der Rückseite jedoch leicht abgerundetes Gebäude, das, wie von den Bauherren gewünscht, schräg auf die Benzigerstrasse ausgerichtet ist. Die breitere Rückfront nimmt in idealer Form die für die Ausstellungsfläche benötigten Raum auf, sodass der daran anschliessende längsrechteckige Besucherraum zur Hälfte auch auf den Seiten durch die Krippendarstellung hinter Glas gerahmt wird. Die Rückwand des abgedunkelten Besucherraums ist aus akustischen Gründen mit lärmdämmenden Korkplatten bespannt, wurden doch bei Führungen die Erläuterungen der einzelnen Szenen der Krippenlandschaft via Lautsprecher von einem Band abgespielt.

Die schmalere Hauptfassade mit ihrem breiten und hohen, ursprünglich nicht verschlossenen und mit einem Stern auf blauen Grund versehenen Mittelportal, wird ganz im Sinne einer klassischen Portikus-Architektur (Säulengang) durch schmale Betonpfeiler gegliedert, zwischen die vertieft liegende Wandfelder eingespannt sind. Die rechte Seite weist im unteren Teil Fensteröffnungen auf. In dem schmalen Eingangsbereich hat der Architekt rechts Ticketschalter und Kiosk eingerichtet. Links befindet sich ein abgedunkelter Gang, durch den man in den Besucherraum gelangt, wo das Auge des Betrachters von der angeleuchteten Krippenlandschaft eingefangen wird. Die Inszenierung des Ausstellungsraumes fiel schon damals der Berichterstatterin auf, die in der «Neuen Einsiedler Zeitung» über die Eröffnung des Dioramas geschrieben hat. Dort heisst es: «Durch die schön und würdig gestaltete Eingangspforte, von einem blauen Himmel überdacht, an dem der strahlende Bethlehemstern prangt, umfängt uns zunächst das geheimnisvolle Dunkel des Dioramas, denn: ‘Höhlenfinsternis oder zum mindesten Nacht muss sein, damit jenes unsagbare Licht möglich werde, das den Schauplatz erhellte wie zur sechsten Stunde des Tages’. Und dann stehen wir im Banne des geistlichen Schauspiels vor unseren Augen, verwundert ob so viel künstlerischer Schönheit, Formen-, Farben- und Lichterpracht und ergriffen von der hier eingefangenen Atmosphäre Bethlehems». Anders als heute war der Besuch des Dioramas ursprünglich als Rundgang gedacht, die Besucher verliessen den Raum durch einen auf der Nordseite gelegenen Ausgang.

Gedeckt wurde das aufgrund der Hanglage zweigeschossige Gebäude bis 1988 durch ein elegantes, sehr dünnes, geschwungenes und auf den Seiten hervorragendes Flachdach, das aufgrund von Wasserschäden durch eine solidere Version ausgetauscht wurde. Das Untergeschoss, wo sich heute die Mineraliensammlung befindet, beherbergte zuvor die Toilettenanlagen und eine Garage.

Das Diorama ist das erste Gebäude in Einsiedeln, dass im Stil der Nachkriegsmoderne errichtet wurde. Gewünscht hatten sich die Bauherren einen «zeitlosen Bau, eine gediegene Hülle für ein Generationen überdauerndes Kunstwerk». Felix Schmid ist es gelungen, diese Ansprüche zu erfüllen. Vier Jahre später wurde in Einsiedeln ein weiteres Gebäude mit diesen architektonischen Kennzeichen errichtet. Auch dieses diente dem Schauen: das Kino Etzel, dessen Entwerfer der Einsiedler Architekt Albert Müri-Thorner war.

 

Gekürzte Fassung eines Textes von Anja Buschow Oechslin, Sommer 2021

Quellen und Literatur

  • Ferdinand Birchler, Neues Diorama Bethlehem, Einsiedeln. Seine Entstehungsgeschichte.

Protokolle der Dioramagesellschaft ab Entstehung bis 1992.

  • Barbara Handke-Schmid, Manuskript: Felix Schmid, Architekt FSAI, Rapperswil SG.
  • Dorothee von Senger, Das Neue Diorama Bethlehem. In: Neue Einsiedler Zeitung, Nr. 53, 9.7.1954.
  • Anja Buschow Oechslin, Werner Oechslin, Das Panorama «Kreuzigung Christi» in Einsiedeln. Kunst, Kommerz und religiöse Erbauung im Wandel der Zeit. Hg. Panorma-Gesellschaft Einsiedeln. Einsiedeln 1983.